Der Hund will die Treppe nicht gehen? Er wird an der Ampel unruhig? In der Fußgängerzone zieht er nach rechts, nach links und bleibt plötzlich stehen? Das kann viele Ursachen haben, aber es könnte auch an der Perspektive liegen, wie Hunde unsere Welt wahrnehmen. Nämlich von unten, wie sie Herbert Becke aus Garching bei München fotografiert hat.
Von unten sieht die Welt ganz anders aus
Klar, die Hundeaugen sind anders beschaffen als die des Menschen und sie sehen auch anders. Und zugegeben: Ich habe mich nicht in den Straßenstaub geworfen, um die Welt mal anders zu sehen. Aber der Fotograf Herbert Becke hat es getan und er verriet mir: „Alles wird anders wahrgenommen. Die Räder an Rollies und Koffern und das Schuhgeklapper auf dem Pflaster – das muss akustisch irritieren und kann auch bedrohlich wirken, vor allem wenn am Münchner Hauptbahnhof so viele Beine umher laufen“, erklärte mir Herbert Becke. Und er muss es wissen, denn er hat sich genau da bäuchlings auf das Pflaster gelegt und von unten fotografiert.
Zu den optischen Herausforderungen kommen laute Geräusche dazu
Wenn man als Mensch die Sinne mal so richtig in Anspruch nimmt, dann fällt einem auf, wie laut unser Welt ist: Ein knatternder Auspuff, quietschende Bremsen der S-Bahn, Ansagen aus dem Lautsprecher, ein Zischen, wenn sich beim Bus die Türen öffnen und ein dumpfes Klappgeräusch, wenn sie sich wieder schließen. Stimmengewirr von Passanten, ratternde Bahngeräusche auf Schienen, schreiende Kinder, bimmelnde Ladenglocken und, und, und… Und all das hört der Hund – und zwar neun mal so gut wie wir Menschen. Ganz schön laut.
Bäuchlings liegend sieht die Treppe wie ein riesiges Hindernis aus
Hinzu kommen aber noch die optischen Herausforderungen, die manchmal aussehen, wie unüberwindbare Hürden. Probieren Sie es doch mal aus – auch wenn Sie vielleicht etwas komisch von der Seite angesehen werden. Da musste auch der Fotograf Herbert Becke durch. Legen Sie sich mal vor einer langen Treppe am Bahnsteig auf den Bauch und sehen Sie sich diese Treppe von unten an. Oh weh, da hinauf? Das schaffe ich nicht. So ein Gedanke schießt einem da durch den Kopf, weil sich die Treppe wie ein riesiges, steiles Hindernis vor den Augen aufbaut.
In der Fußgängerzone sieht der Hund Schuhe, Beine und Tüten
Aber es muss nicht immer eine Treppe sein. Shopping in der Fußgängerzone – ein Vergnügen für Menschen, doch für einen Hund ist das Erlebnis gar nicht so schön. „Sie sehen lauter Schuhe, Hosenbeine, Taschen und Tüten“, so Herbert Becke. Was uns nicht auffällt, weil wir die Nase um ein ganzes Stück höher tragen als der Hund, kann zur Herausforderung werden. Der Hund muss diesem Schritt ausweichen, einen Bogen um eine baumelnde Tüte machen und nebenbei nimlt er wahr, dass hinter ihm auch irgendetwas laufen muss oder er sieht als Mini-Hund auch noch vier lange Beine und den mächtigen Bauch einer Dogge. Und dann soll er sich auf seinen Besitzer konzentrieren, Kommandos befolgen und eben brav bei Fuß gehen. Ja, das ist eine Herausforderung. Und was für eine!
Rasante Reifen und stinkende Abgase an der Ampel
Die Ruhe an der Ampel oder am Straßenrand bewahren – auch das ist keine leichte Übung. Autoreifen rasen direkt vor den Augen vorbei, ein Radfahrer zischt womöglich noch klingelnd am Hund vorüber, telefonierende Menschen gehen achtlos umher – und es gibt noch etwas, das einen ganz anderen Sinn nervt. Den äußerst guten Geruchssinn der Hunde, denn „der Hund befindet sich größenmäßig unten bei den Auspuffen und bekommt die Abgase ab“, erklärt Herbert Becke. Weder schön oder angenehm, noch gesund – so viel steht für mich fest und Herbert Becke machte die Situation da unten an der Ampel klar: „Das würde mir Angst machen.“
„90 Prozent der Dinge hätte ich vorher nie gesehen“
Herbert Becke hat 25 Jahre lang Hunde gehabt: Cockerspaniels und einen Zwergdackel. Als sein Sohn noch klein war, befand sich der auf gleicher Augenhöhe wie der Cockerspaniel. Hund, Kleinkind – eine Erinnerung, die Herbert Becke inspirtierte zu seinen Fotos von unten. „Das war die Grundidee. Ich habe in den letzten 40 Jahren so viele Dinge, Menschen und Situationen fotografiert, aber nun wollte ich mal München anders fotografieren – von ganz unten. Ich war begeistert von den ersten Fotos und habe weiter gemacht.“ So entstanden erstaunliche Fotos, die mitunter auch ganz beondere Überraschungen boten. „90 Prozent der Dinge hätte ich vorher gar nicht gesehen. So ging es mir beispielsweise, als ich am Boden war und an einer Haustür einen Briefschlitz sah. Der war ganz unten und ich vermute mal, dass der Besitzer einen Hund hatte, der ihm die Zeitung brachte“, berichtete Herbert Becke.
Ausstellung zeigt auch die Welt aus Sicht der Hunde
Mit seinen Fotos von unten hat es Herbert Becke sogar in die Vox-Fernsehsendung „Hund, Katze, Maus“ geschafft. Im Bürgerhaus Unterschleißheim am Rathausplatz zeigt er etwa 110 Fotos aus 40 Jahren Fotografen-Leidenschaft. Mit dabei sind Fotos von Bob-Fahrten seines Sohnes und von den vielen prominenten Kabarettisten der legendären Kulturdonnerstage, die der ehemalige Leiter der Volkshochschule im Norden des Landkreises München etwa 30 Jahre lang in Garching veranstaltet hat. Und es sind eben auch Fotografien dabei, die München von unten zeigen. Bis zum 13.3.2016 kann die Ausstellung besucht werden – und sorry liebe Hunde, die Bilder des mehrfach ausgezeichneten Herbert Becke sind in Augenhöhe der Menschen aufgehängt. Text/Foto: Marion Friedl