Dummer, sturer, fauler Esel – dem armen Tier wird allerhand nachgesagt und manch ein Mensch schimpft, dass Esel laut seien und einige sagen ihm Langeweile nach. All das hat der Esel nicht verdient. Tun wir ihm etwas Gutes und polieren sein Image auf, denn genau das hat der liebenswerte Kerl verdient.
Diese Tiere sind gelehrig und haben ein super Gedächtnis: Sie merken sich, wer nett ist und wer nicht. Ob Wege, Stallgeruch oder Geräusche – was der Esel kennenlernt, das speichert er im Gedächtnis ab. Eine schlaue Idee, denn so bleibt er bei der Arbeit ruhig und gelassen, selbst wenn Autos an ihm vorbeifahren und er Lasten zu tragen hat. Dass er sich die aufbürden lässt, hat auch nichts mit Dummheit zu tun. Man kann es als Hilfsbereitschaft, Gutmütigkeit, Geduld und Menschenfreundlichkeit abhaken. Manche Esel sind so gewitzt, dass sie selber mit dem Dummheits-Vorwurf aufräumen: Sie beobachten, wie ein Tor geschlossen wird und kaum hat sich der Mensch umgedreht, öffnen sie es und tanken einen Hauch Freiheit. Clever, oder?
Wenn ein Esel nachdenkt, kann das dauern
Überdenken sollte man auch das Vorurteil, der Esel sei stur. Okay, wenn er nicht weitergehen will, bleibt er stehen und bewegt sich möglichst keinen Millimeter. Das ist wahr, hat aber einen guten Grund: Der Esel muss aufpassen, was sich unter seinen Beinen befindet und bei Sicherheitsbedenken bleibt er stehen und denkt nach. Das kann dauern, aber wer kann es ihm verdenken? Viele Esel stammen aus steinigen Wüsten, unwegsamem Gelände und Gebirge und müssen dort schmale Pfade passieren, steil bergauf und bergab laufen, bewegliches Geröll bewältigen und neben ihnen lauert womöglich ein Abgrund. Bloß nicht abstürzen, lautet die Devise und deshalb lässt sich der Esel Zeit, um die richtige Entscheidung zu treffen.
Schnarchende Esel sind keine faulen Schlafmützen
Die angebliche Sturheit hat einen Zusammenhang mit dem Vorurteil, der Esel sei langweilig. Optisch mag das so aussehen, wenn er mit hängendem Kopf gemächlich dahinläuft. Doch wie würden Sie laufen, wenn Sie als Wanderer in unwegsamem oder unbekanntem Gelände unterwegs sind, Angst um gleich vier Beine haben müssen und Ihnen bewusst ist, dass ein Fehltritt tödlich enden kann? Mit gesenktem Kopf, damit Sie den Boden und seine Stolpersteine im Blick haben. Sind Sie deshalb langweilig? Nein. Und der Esel ist es auch nicht. Er ist aufmerksam, vorsichtig und besonnen. Außerdem: Haben Sie schon mal Esel untereinander beobachtet? Die beschäftigen sich miteinander, toben sich aus, beknabbern sich freundschaftlich und beherrschen manchen Luftsprung. Und wenn man einen unbekannten Eimer oder eine Tasche stehen lässt, dann wird das Ding inspiziert. Selbst ein schnarchender Esel ist keine faule Schlafmütze: Esel schnarchen, wenn sie Angst haben.
Nicht nur die Gottesmutter kann sich auf das Arbeitstier verlassen
Der Esel ist auch nicht faul. Schließlich hat er einst die schwangere Maria nach Bethlehem getragen. Nun, die Gottesmutter taucht nicht dauernd auf und benötigt die Hilfe eines Esels. Aber es gibt genug andere Menschen, die seine Dienste in Anspruch nehmen. In vielen Ländern ist der Esel ein arg beladenes Lasttier, sie ziehen Wagen oder müssen schwere Mühlsteine bewegen. In einigen afrikanischen Ländern sind Eselrennen nicht nur Spaß, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Buben sparen auf einen Esel, um später als Jockey, Bauer oder Touristenführer Geld zu verdienen. Esel sind dort wertvolle und genügsame Arbeitstiere, die bei Anstrengung höchstens schnauben. Bei uns hat der Esel unterhaltsame Jobs, wie Eselreiten, Eselwanderung, Gaudirennen, Krippen-Darsteller.
Ein Esel braucht kein Flirtportal – ein I-Ah tut es auch
Bleibt noch das Gemecker über die Lautstärke eines rufenden Esels. Das ist wirklich nicht ohne und eine echte Meisterleistung: Mit „I“ holt der Esel tief Luft, um dann mit Vollgas ein „Ah“ in die Welt hinauszuschreien. Mit I-Ah sagen Esel, dass sie sich freuen, ungeduldig sind oder Sehnsucht haben. Vor allem Einzeltiere rufen laut, denn Esel sind soziale Tiere, die zwar keine schützende Herde brauchen, sich aber über Gesellschaft freuen. Ist der Esel allein, ruft er laut und oft, denn vielleicht spaziert ja irgendwo ein Artgenosse herum und sucht ebenfalls einen Freund. Esel brauchen halt kein Flirtportal. Aber die Partnersuche klappt nicht immer. Hat die Eseldame keine Lust, quietscht sie dem Hengst die Ohren voll. Das ist ärgerlich und wenn sich Esel ärgern, dann brummen sie. Kommen sie gar in Rage, knirschen die Zähne.
Esel sind friedlich, aber entsetzlich neugierig
Nun hat der Esel, den es in mehreren Größen, Farben und mit diversen Frisuren gibt, viel Fürsprache bekommen. Die hat er auch verdient. Es gibt zahlreiche Rassen und deshalb kommt der Esel optisch vielfältig daher, aber: Alle Esel – ob Wildfang oder Nutztier – stammen von nordafrikanischen Wildeseln ab. Blickfänge sind oft der Aalstrich am Rücken, die unterschiedlichen Mähnen, der Quastenschwanz, die hübschen Augen und die puscheligen, langen Ohren, die ausgezeichnet hören. Das Esel-Vokabular beinhaltet auch Körpersignale: Hat er Angst, buckelt er und zieht den Schwanz ein. Nicht jeder Esel unterwirft sich mit gesenktem Haupt und angelegten Ohren, denn Esel können auch drohen und ausschlagen. Aber in der Regel ist der Esel friedlich – und entsetzlich neugierig. Aber auch das ist wirklich keine negative Eigenart, die am Image der Esel kratzen könnte. Text/Foto: Marion Friedl